Mein Resümee nach 9 Monaten in Tarifa
Nach den ersten 9 Monaten hier in Tarifa, gibt es heute mal keinen Reiseführer sondern einen Bericht über Land, Leute, das Klima und mein Leben hier.
Wetter – Wind – Winter in Tarifa
Durch die Meerenge von Gibraltar hat Tarifa ein sogenanntes Microklima. Im Sommer, wenn der Rest der Küste schwitzt, haben wir hier in der Regel nicht mehr als 30 Grad. Am Vormittag und gegen Abend ist es angenehm kühl, so dass man wunderbar schlafen kann. Meist ist es 5 Grad kälter, als am Rest der Küste.
Der Winter hat auch mal wirklich kalte Tage, wobei ich hier von 9 oder 10 Grad spreche. Allerdings regnet es gerne und viel. Die Feuchtigkeit ist gewöhnungsbedürftig, die Straßen sind aufgrund der fehlenden Kanalisation schnell geflutet, oder wie bei mir im Campo, manchmal unpassierbar.
Bevor ich weiterschreibe, möchte ich kurz meine Wohnsituation erklären, damit man eine Vorstellung hat, wie es hier aussieht und dass es selbstverständlich unten in der Altstadt oder im Villenviertel La Pena wieder anders ist.
Ich wohne in einem kleinen Haus mit Garten im Campo, auf Deutsch „auf dem Land“, relativ zentral zur Stadt (5 Min), allerdings ohne asphaltierte Straße. Ich heize im Winter mit Elektroheizungen und mein heißes Wasser kommt über eine Gasflasche.
Hier im Campo fällt bei Regen auch gerne mal der Strom aus. Mal nur eine Stunde, mal auch 5 oder 6. Ist natürlich im Winter nicht so toll, wenn dann weder Heizung noch Herd funktioniert, aber man gewöhnt sich dran.
Ungemütlich wird es, wenn Regen und der berühmte Tarifa Wind zeitgleich ihr Bestes geben. Dann könnte auch das Internet zusätzlich ausfallen. Am besten, man geht dann in eine der Bars und macht es sich dort gemütlich.
Der Wind ist im Winter eher lau, von Frühjahr bis Herbst dafür umso heftiger. Meist bleibt er 3 Tage und flaut dann ab. Am Anfang habe ich noch gegen ihn gekämpft und versucht mein Programm trotzdem durchzuziehen. Mittlerweile handhabe ich es wie die Einheimischen und bleibe bei Wind zuhause oder mache einen Ausflug in eine der wunderschönen Städte in der Umgebung. Wenn man nicht gerade zum kiten hier ist, kann er ab und an echt anstrengend sein. Zum einen macht er müde und die permanente Geräuschkulisse ist auch nicht ohne, zum anderen muss man alles was nicht gerade fest verankert ist, retten. Der Vorteil ist, die Wäsche trocknet im Minutentakt, der Nachteil ist, man sollte den Wäscheständer am besten einbetonieren, sonst tanzt er durch den Garten. Es kann durchaus passieren, dass man bei extremen Levante 12km Strand für sich alleine hat. Allerdings ist es mit einem Sonnenbad so eine Sache, denn es ist schon eine Kunst, das Handtuch überhaupt einigermaßen passabel in den Sand zu legen, vom Permanent peeling mal ganz abgesehen. Aber ein schöner Strandspaziergang, bei dem man sich über die Frisur absolut keine Gedanken machen sollte, ist durchaus machbar und eine einzigartige Chance, so tolle Fotos zu schießen.
Nichts desto trotz überwiegt die einzigartige Schönheit dieser puren Naturgewalt mit wundervollen Sonnenauf- und -untergängen, klarer Sicht auf Afrika und Gibraltar, sowie Wanderungen durch dieses traumhafte Campo gegen eine ruinierte Frisur oder fliegende Wäsche.
Die Menschen
Ich lebe in einer Kleinstadt mit 21.000 Einwohnern. Neben den gebürtigen Tarifenos, die manchmal ein wenig stur rüberkommen, aber dennoch herzensgut sind, wenn man sie näher kennenlernt, leben hier Menschen aus der ganzen Welt. Die Guiris, wie die Spanier die Ausländer nennen, sind meist Leute, die von der Schönheit dieses Ortes genauso fasziniert waren/sind wie ich selbst und einfach geblieben sind. Neben vielen Europäern, gibt es hier Südamerikaner, Amerikaner, einige Afrikaner und auch die Karibik ist vertreten. Man kennt sich untereinander und man ist nett zueinander. Wenn ich morgens in die Stadt fahre um meine Erledigungen zu machen, gibt es immer jemanden den ich treffe. Mittlerweile fühle ich mich sehr zuhause, wenn ich in meine Straße fahre. Hier wohnen überwiegend Spanier. Man winkt sich zu wenn man sich sieht und tauscht auch gerne mal ein paar Sätze aus und wenn ich mal Hilfe brauche, ist immer jemand zur Stelle. Von meinem direkten Nachbarn bekomme ich frische Eier von freilebenden glücklichen Hühnern und einen besseren Wecker als der Hahn am frühen Morgen kann man sich kaum vorstellen. Ein paar Meter weiter gibt es freilaufende Kühe mit Kälbchen mitten auf der Straße und die circa 15 Katzen aus der Nachbarschaft kommen auch gerne mal zu Besuch.
Die Tarifenos kaufen lokal, so dass auch kleine Geschäfte, wie die 3 oder 4 Gemüsehändler, die Ferreteria (ein Geschäft für Werkzeug, Schrauben etc ) und auch die Merceria (Laden für Kurzwaren wie Knöpfe, Stoffe, Reißverschlüsse etc.) überleben können. Wie gesagt, man kennt sich. Und niemand ist schlecht gelaunt, wenn er eine halbe Stunde aufgrund der Corona Maßnahmen vor dem Geschäft in der Schlange stehen muss.
Das Fitnessstudio in dem ich trainiere ist in einem Topzustand und 5 Minuten von meinem zuhause entfernt. Auch hier kennt und grüßt man sich. Was mich am meisten fasziniert ist, dass es in der Mitte des Raumes einen Balken mit ein paar Regalbrettern gibt und die Leute dort ihre Handys, Autoschlüssel etc. ablegen. Wenn ich das mit Deutschland vergleiche, wo es noch zusätzlich kameraüberwachte Spinde für Wertsachen gibt, ist das für mich ein Paradebeispiel für „hier ist die Welt noch in Ordnung“.
Ich habe hier wirklich tolle Leute kennengelernt und bekomme super viele gute Tipps, wie man mit den kleinen Alltagsproblemen wie Feuchtigkeit, Gasflasche anschließen usw. umgeht.
Leider ist auch hier das coole, für Tarifa bekannte Social life aufgrund der Pandemie stark eingeschränkt, aber es findet sich immer eine Möglichkeit um ein Glas Wein im Beachclub zum Sunset oder ein paar leckere Tapas in einem der unendlich vielen, wirklich guten Restaurants zu genießen.
Mein Fazit nach 9 Monaten Tarifa:
Ich bin wesentlich selbstreflektierter und entspannter seitdem ich hier lebe. Der wahre Luxus besteht darin, dass ich abends keine Angst haben muss, alleine nach Hause zu gehen, dass ich keinen falschen Zielen mehr nachjage und Zufriedenheit nicht mehr an Erfolgen messe.